top of page
IMG-20191009-WA0013_edited.jpg

Eberhard, das geflügelte Einhorn

  • Autorenbild: Felix Auras
    Felix Auras
  • 21. Aug. 2023
  • 6 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 5. Sept. 2023



Es war einmal im Land der Einhörner. Ein Ort voll Glitzer und Feenstaub, in dem die Magie pulsierte und mit Raum und Zeit verwebt war.

Dort gab es, getrennt durch einen güldenen Fluss, zwei Königreiche: Zum einen das Land Mittauen, in dem nur Einhörner lebten, die Flügel besaßen. Sehr gebildet waren sie und auch sehr von sich überzeugt; manchmal ein bisschen zu sehr.

Dann gab es da noch Ohningen. Dort lebten nur Einhörner ohne Flügel. Sehr einfache Leute, aber sehr warmherzig und gütig.

Diese beiden Länder und deren Bewohner, die Mittis und die Ohnis, respektierten sich zwar, aber sie mochten sich gegenseitig nicht besonders.

Die Mittis betrachteten die Ohnis insgeheim als tumbe Bauerntölpel, die nicht gut genug für sie waren; die Ohnis mochten die Arroganz und Selbstüberschätzung der Mittis nicht.

Wie ihr euch sicher denken könnt, ist das die beste Vorlage für eine romantische Liebesgeschichte á la Romeo und Julia, in der sich zwei Einhörner aus den beiden Ländern in einander verliebten und zusammen durchbrannten und blablabla.

Aber den langweiligen Quatsch will ich euch ersparen.

In dieser Geschichte geht nicht um zwei rebellierende Jugendliche mit zu viel Hormonen im Blut, sondern um deren Sprössling mit dem anmutigen Namen Eberhard.


Eberhards Mutter war eine Ohni, während sein Vater ein Mitti war und genau diese Kombination brachte Eberhards auffälliges Äußeres zustande.

Hatte er zwar Flügel, doch da nur sein Vater ein Mitti war, waren diese, nun, nennen wir es mal, suboptimal entwickelt.

Hähnchenflügel, ok, er hatte Hähnchenflügel. Sie waren zwar da, aber sie waren winzig und viel zu klein, um damit fliegen zu können. Also rannte er den ganzen Tag über die Wiese und flatterte wie wild damit herum.

Jetzt könnte man denken, dass Eberhard deshalb immens große Minderwertigkeitskomplexe entwickelt hatte, aber nein, seine Eltern, die ihn von ganzem Herzen liebten, brachten ihm bei, dass sein Äußeres nichts über seinen Wert als Einhorn aussagte.

Er glaubte ihnen zwar, denn schließlich waren sie ja Erwachsene, doch so ein paar Zweifel schauten immer mal wieder vorbei.

Es kam nie zur Sprache, warum sie außerhalb der Königreiche auf dem Land lebten, aber er war schlau genug, um es selbst herauszufinden. Denn wenn die Herrscher erfuhren, dass einer der ihren mit einem des anderen Königreiches durchgebrannt war, dann uiuiui.

Nicht auszudenken, was dann passieren könnte.

Aber zurück zu Eberhard. Er verbrachte die meiste Zeit mit seinen beiden besten Freunden: eine gut genährte Fee namens Brunfthilde, die eher wie eine fette, rosa Hummel aussah, und ein Baumstumpf namens Oliver.

Oliver lebte mit seinen Eltern, ebenfalls Baumstümpfe, auf einer Lichtung im nahen Wald. Dort stand er und, nun ja, tat das, was Baumstümpfe eben so tun; er stand herum.

Zusammen erlebten die drei allerlei verrückte und spannende Abenteuer, von denen ich hier erzählen möchte.


Es war ein warmer Sommertag und die Sonne stand hell am blauen Mittagshimmel. Die drei Freunde liefen an einem kleinen Bächlein entlang, um besonders schöne Kieselsteine für Olivers Kieselsteinsammlung zu finden.

Oliver dirigierte Eberhard hierhin und dorthin, weil er den schönsten aller Steine gefunden zu haben glaubte, während Brunfthilde an einem überdimensionierten Schokoriegel lutschte. Doch jedes Mal, wenn sie den besonders schönen Stein aufsammeln wollten, änderte Oliver seine Meinung.

„Nein, so schön ist er doch nicht", sagte er.

„Oh Mann, so geht das jetzt schon seit Stunden", maulte Eberhard. „Kannst du dich jetzt bitte mal entscheiden?“

„Gewau, kannft du dif bidde entfeiden", pflichtete Brunfthilde ihm mit vollem Mund bei.

„Entschuldigt bitte, dass ich mich nicht bewegen kann", raunzte Oliver giftig. „Ich werde...“

Doch bevor er seinen Satz beenden konnte, zuckten alle drei zusammen.

Aus dem nahe gelegenen Wald war ein spitzer Schrei gedrungen.

„W-was war das?“ stotterte Eberhard.

„Ja, waf war daf?“ wiederholte Brunfthilde, während das Papier ihres Schokoriegels leise raschelte.

„Es kam von da drüben", sagte Oliver und zeigte mit einer Wurzel in Richtung Wald.

„Ob wir mal nachschauen sollten? Vielleicht...“

„Bist du wahnsinnig", wurde er von der Fee unterbrochen, die gerade ein großes Stück Schokolade herunterschluckte. „Jeder weiß doch, was passiert, wenn man einem Schrei in den Wald hinein folgt. Das kennt man doch aus dem Erwachsenenkasperle mit den Schauermärchen.“

Ihre Augen wurden groß, als sie mit dunkler Stimme flüsterte: „Kennt ihr nicht die Geschichte von den drei jugendlichen Einhörner, die in den Wald der Hexe Plähr Vitsch gingen?“ Ihre Augen wurden noch größer und ihre Stimme war kaum noch zu hören. „Sie tauchten nie wieder auf.“

Stille legte sich um unsere Freunde.

„...nie wieder auf,“ echote sie geheimnisvoll.

„Sag mal, bist du dir sicher, dass der Schokoriegel noch in Ordnung war? Du klingst, als hättest du wieder zu viel von diesen leuchtenden Pilzen genascht", meinte Oliver und zog eine Augenbraue nach oben.

„Oliver hat Recht, was soll schon passieren? Vielleicht braucht jemand unsere Hilfe", sagte Eberhard. „Du kannst ja hierbleiben, wenn du willst. Wir gehen jetzt und schauen nach. Komm Oliver.“

Mit dem Baumstumpf auf seinem Rücken trabte er langsam auf den Waldrand zu.

„Ist ja gut, ich komm ja schon. Ich kann euch eh keine zwei Minuten aus den Augen lassen, ohne dass ihr Schneckenmist baut.“

Und so betraten die drei mutig den dunklen Wald und machten sich auf die Suche nach der Quelle des Schreis.

Es war dunkel unter den hohen Bäumen. Nur vereinzelt gelangten Sonnenstrahlen durch das dichte Blätterdach auf den Boden. Die Luft fühlte sich warm und schwül an und ständig hörten die drei Freunde Geräusche aus den unterschiedlichsten Ecken. Mal raschelte es zwischen den herunter gefallenen Blättern, mal brach irgendwo ein Zweig, doch weit und breit war niemand zu sehen. Es war, als würden unsichtbare Augen jeden Schritt der drei verfolgen.

„Oh Mann", wisperte Oliver. „Ich kriege hier 'ne richtige Gänsehaut.“

„Wie denn? Du hast doch gar keine Haut", grinste Eberhard.

„Du hast doch gar keine Haut", äffte Oliver ihn nach.

„Oliver hat recht. Hier ist es ganz schön gruselig", sagte Brunfthilde, die sich hinter ihm auf Eberhards Rücken niedergelassen hatte und den Baumstumpf fest umklammert hielt.

„Ach, ihr zwei stellt euch nur an. So schlimm ist es hier doch gar nicht", wiegelte er ab.

Doch kaum hatte Eberhard zu Ende gesprochen, ertönte wieder der Schrei, der sie vorhin bereits erzittern ließ.

Doch diesmal schien er aus ihrer unmittelbaren Umgebung zu kommen.

Brunfthilde entfuhr ein leiser Schrei und sie zitterte jetzt so stark, dass Oliver beim Reden stotterte.

„H-h-habt i-i-ihr das ge-ge-gehört? I-ich g-g-glaube, das k-k-kommt von da v-v-vorne. Und B-b-brunfthilde, k-k-könntest d-d-du aufhören, so stark z-z-zu zittern?“, rief er über die Schulter.

„Da vorne ist eine Lichtung. Der Schrei kam von dort", sagte Eberhard und hielt darauf zu.

Vorsichtig schlichen sie näher und versteckten sich hinter einer breiten Eiche. Von dort aus konnten gut sie auf die Lichtung spähen.

In einiger Entfernung machten sie einen prächtigen Hirsch aus, der ihnen die Hinterläufe zuwandte und den Kopf gesenkt hielt.

„Da, seht mal. Ein Hirsch. Ob der hier so 'rumschreit?“, fragte Oliver.

Doch bevor jemand antworten konnte, hob der Hirsch seinen Schädel und stieß einen spitzen Schrei aus.

„Das klingt aber jetzt merkwürdig. Weint der etwa?“ fragte Eberhard und runzelte die Stirn.

„Ich glaube schon. Vielleicht sollten wir mal hingehen und sehen, ob wir ihm helfen können", sagte Oliver.

Und so setzten sie sich in Bewegung und liefen auf die Lichtung.

„Hallo, Herr Hirsch. Ist alles in Ordnung? Brauchst du Hilfe?“, fragte Eberhard vorsichtig.

Der Hirsch machte einen Satz nach hinten.

„Du meine Güte", rief er. „Ihr habt mich vielleicht erschreckt. Ich hätte fast einen Herzinfarkt bekommen", sagte er und griff sich mit einem Huf theatralisch an die Brust.

„Entschuldige bitte. Das war keine Absicht. Ich bin übrigens Eberhard und das sind meine Freunde Oliver und Brunfthilde. Wir haben dich schreien gehört und dachten, du wärst in Gefahr", sagte Eberhard und verbeugte sich leicht.

„Schön euch kennenzulernen. Ich bin Torsten. Aber wo denkt ihr hin", lachte er. „Ich? In Gefahr? Macht euch nicht lächerlich. So ein prächtiges Tier, wie ich braucht sich vor niemandem fürchten", antwortete er und reckte mit geschwellter Brust sein mächtiges Geweih in die Höhe.

Die drei sahen sich verwundert an, als Eberhard das Wort ergriff.

„Na gut, aber warum schreist du denn wie am Spieß?“

„Na weil, na weil...“, stammelte der Hirsch. Seine Unterlippe zitterte leicht und er fing an zu schluchzen. „Es ist furchtbar. Ich war gerade dabei, mir die Hufe zu lackieren, als ich aus Versehen mein Glas mit Huflack umgestoßen habe", jammerte er. „Schaut euch doch nur mal an, wie ich jetzt aussehe", sagte er und weinte bitterlich.

Erst jetzt fiel ihnen auf, dass seine Hufe in einem grellen Pink erstrahlten, außer dem vorne rechts. Dieser sah aus als hätte eine pinke Fee darauf Durchfall gehabt.

Wenn Oliver in der Lage gewesen wäre, hätte er sich mit einem Ast ins Gesicht geschlagen, um nicht laut los zu lachen.

„Wow, und ich dachte, hier wäre wirklich jemand in Gefahr.“

Tränen liefen sein Gesicht hinunter.

„Jetzt sei doch nicht so", rüffelte ihn Brunfthilde und gab ihm einen Klaps auf den Hinterstumpf. „Vielleicht können wir ihm ja helfen.“

Kaum hatte sie es ausgesprochen, flog sie von Eberhards Rücken herunter und mit einer Bewegung ihres Zauberstabs schwebte die ausgelaufene Farbe zurück in das Glas.

Torsten machte große Augen und als das Glas wieder vor ihm stand mit der wunderbaren Farbe darin, strahlte er über das ganze Gesicht.

Mit einem weiteren Schlenker ihres Zauberstabs schwebte etwas des Lackes heraus und legte sich wie eine zweite Haut um seinen Huf.

„Oh mein Gott. Vielen Dank", rief er freudestrahlend. „Ihr habt mich gerettet. Jetzt kann ich mich beruhigt mit Eugen treffen und es wird bestimmt ganz wundervoll.“

„Wer ist denn jetzt bitte Eugen?“, fragte Oliver.

„Na, mein Freund", grinste Torsten.

„Achso, natürlich. Na dann viel Spaß euch beiden", lächelte Eberhard.

„Danke, den werden wir jetzt haben. War schön, euch kennengelernt zu haben.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und verschwand im Dickicht des Waldes.

Die drei Freunde blieben noch eine kleine Weile auf der Lichtung, ehe sie sich auf den Heimweg machten.

„ Plähr Vitsch", flüsterte Oliver vor sich hin. „So ein Unsinn.“













Comments


bottom of page