Manche Gurken sind viel zu sauer
- Felix Auras
- 28. Aug. 2023
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 5. Sept. 2023
Sie saßen in der Falle.
Auf ihrer Flucht vor den Killergurken waren sie in eine Gasse geraten, aber nun versperrte ihnen eine meterhohe Wand den Weg. Panisch blickten sie umher, nach einer Möglichkeit zu fliehen, doch nur kalte, glatte Wände umgaben sie.
Hinter sich hörten sie bereits das wütende Gekreische der heranrückenden Cornichonarmee.
Langsam kamen sie näher. Bösartige kleine Gürkchen mit Händen und Beine, die nur Tod und Verderben kannten. Gierige Mäuler enthüllten spitze Reißzähne. Dahinter erhob sich ein drohender Schatten, aus dessen Mitte ein siegessicheres Lachen drang.
„Oh man, wir sitzen ganz schön in der Tinte", sagte Basil Boy. „Dieser Verrückte hat uns im Sack.“
Garlic Girl antwortete nicht, sondern starrte wild entschlossen den Angreifern entgegen.
„Du willst es also auf die harte Tour?“, rief sie. „Na, schön, kampflos ergeben wir uns jedenfalls nicht!“
„Das hatte ich auch nicht gehofft", kam es aus dem Schatten.
Dann griffen die Cornichons an.
Zehn Stunden zuvor.
Die Glocke läutete und alle Schüler stürmten nach draußen in den Gang. Aus einem der Klassenzimmer trat ein junges, unscheinbares Mädchen. Wie alle Mädchen in ihrem Alter trug sie einfache Sneakers, dazu einen lila Rock und einen zu weiten Pullover. Ihr langes, braunes Haar wurde von einer Schleife im Zaun gehalten. Die Bücher an die Brust gedrückt machte sie sich auf den Weg.
„Emilia", rief ein Junge, wedelte mit den Armen und eilte ihr entgegen.
„Hallo Philip. Na, alles klar?“, fragte sie.
„Alles bestens. Heute Abend steht noch?“
„Logo", erwiderte sie.
„Dann bis später", rief Philip und verschwand winkend in der wogenden Masse der Schüler. Er war ein schlaksiger Junge, der stets zu große Klamotten trug und zu wenig Gel in den kurzen, braunen Haaren hatte.
Philip war ihr bester Freund und auch der einzige, der ihr kleines Geheimnis kannte.
Ein Geheimnis, dann sie um jeden Preis schützen musste. Niemand durfte erfahren, dass sie in Wirklichkeit eine mächtige Superheldin war. Wahrscheinlich die mächtigste, die die Welt jemals gesehen hatte.
Die Menschen liebten sie.
Ihre Feinde fürchteten sie.
Sie war...
Garlic Girl!
Sie besaß die Fähigkeit, Knoblauchknollen in ihren Händen materialisieren zu können und ihnen verschiedene Eigenschaften zu verleihen. Doch ihre stärkste und zugleich verheerendste Waffe war ihr Knoblauchatem.
Denn wenn sie die Kontrolle über ihre Gefühle verlor, wurde dieser Atem so mächtig, dass er sogar Fleisch von Knochen lösen konnte.
Philip war nicht nur ihr bester Freund, sondern auch gleichzeitig ihr Gefährte im Kampf gegen das Böse. Er war bekannt unter dem Namen Basil Boy.
Er verfügte leider über keinerlei Superkräfte, doch dafür besaß er ein beeindruckendes Waffenarsenal. Seine Lieblingswaffe waren seine Basilirangs, messerscharfe Basilikumblätter, die er wie Bumerangs seinen Feinden entgegen schickte. Dazu hatte er noch unter anderem Gadgets wie Basilbombs und eine Basilschleuder. Ständig erfand er irgendetwas neues, das er seinem Arsenal hinzufügen konnte.
Zusammen hatten die beiden schon viele Gefahren überstanden und sogar mehrmals die Welt vor üblen Schurken und Ganoven gerettet.
An diesem Abend wollten sie wieder auf Streife gehen, da sie einen Tipp bekommen hatten. Jemand hatte etwas geplant und sie wollten zur Stelle sein, um es zu verhindern.
Als Garlic Girl das Dach betrat, wartete Basil Boy bereits. Wie immer trug er seinen grünen Anzug, samt grünem Cape und Augenmaske. Besonders hervor stachen die roten Streifen auf Armen und Beinen und der rote Kreis auf der Brust mit seinem Logo, einem Basilikumblatt. Um seine Hüfte trug er seinen Basilgurt mit allen möglichen Gadgets und neben ihm lag sein treuer Begleiter, ein großer Sack Basilikum. Damit konnte er Gegner blenden, eine Wolke zur Flucht erzeugen und noch so einiges mehr.
Als sie sich ihm näherte, hob der Wind ihren schneeweißen Umhang hoch und wehte ihre braunen Haare aus dem Gesicht. Sie trug einen lila Anzug mit weißen Stiefeln und weißen Handschuhen. Ihre Augen wurde von einer lila Augenmaske verdeckt.
„Da bist du ja endlich", sagte Basil Boy und grinste ihr entgegen.
„Ja, hat ein bisschen gedauert. Dieser Anzug ist nicht der benutzerfreundlichste", grinste sie zurück und setzte sich neben ihn. „Hast du schon was entdeckt?“
„Nein, bis jetzt ist alles ruhig. Laut dem Tipp ist ein Einbruch in einem kleinen Juwelierladen an der Ecke da unten geplant", sagte er und senkte dabei seine Stimme.
„Vielleicht sollten wir näher heran. Was meinst du?“, fragte Garlic Girl.
„Gute Idee. Nehmen wir die Feuerleiter da drüben und dann durch die Büsche auf der anderen Straßenseite", sagte Basil Boy.
Er schnappte sich seinen Beutel und geschmeidig wie eine Katze bewegte er sich auf den Rand des Daches zu. Zuerst überprüfte er nochmal die Lage und kletterte dann nach unten, während Garlic Girl ihm folgte.
Rasch überquerten sie im Schatten zwischen zwei Laternen die Straßen und schlugen sich in die Büsche.
Vorsichtig näherten sie sich dem Juwelierladen, doch noch immer war alles ruhig.
In einem der Büsche links von ihnen raschelte es. Sofort blieben die beiden stehen und lauschten. Doch nur der Wind, der durch die Zweige pfiff, war zu hören.
„War wohl nur ein Eichhörnchen", murmelte Basil Boy von hinten.
Langsam rückten sie weiter vorwärts. Stille umgab sie wie ein Tuch.
Plötzlich tauchte vor ihnen ein kleiner, grüner Kopf auf und knurrte sie an.
Garlic Girl machte einen Satz zurück und stieß Basil Boy dabei beinahe um.
„Was zum...?“
Doch bevor sie den Satz zu Ende sagen konnte, sprangen von allen Seiten wütende Cornichons auf sie zu.
„Das ist ein Falle!“, brüllte Basil Boy und wollte sich umdrehen und flüchten, doch die laufenden Gürkchen versperrten ihnen den Weg.
Blitzschnell materialisierte Garlic Girl zwei Knoblauchknollen und warf sie in die Menge vor sich. Als sie explodierten, zerfetzten sie dabei eine Handvoll Killergurken und öffneten so einen Fluchtweg.
Die beiden stürmten los. Basil Boy warf noch eine Handvoll Basilbombs über seine Schulter und mit schrillem Kreischen platzen ein paar weitere Cornichons.
Die beiden rannten so schnell sie konnten. Ständig warfen sie einen Blick zurück, doch es schienen immer mehr Gürkchen zu werden.
„Wo nimmt er die bloß alle her?“, keuchte Basil Boy.
„Darüber können wir uns später den Kopf zerbrechen. Jetzt müssen wir erst mal hier weg", rief sie zurück.
Sie liefen im Zickzack und versuchten alles, um ihre Verfolger abzuhängen, doch von allen Seiten drängten die Angreifer auf sie zu.
Sie achteten kaum, wo hin sie liefen, da sie ständig irgendeiner Gurke ausweichen mussten.
So plötzlich wie sie begonnen hatten, hörten die Angriffe auch wieder auf.
Hohe Steinwände säumten den Weg und ihre Schritte hallten über den Asphalt, als Garlic Girl so abrupt stehenblieb, dass Basil Boy nicht mehr abbremsen konnte und sie beide umriss.
„Was soll das?“, raunzte er sie an. „Wieso bleibst du einfach stehen?"
Statt zu antworten, zeigte sie auf den Weg vor ihnen.
„Verdammt, wir sitzen in der Falle", stellte Basil Boy fest, also er die Augen aufriss und auf die Ziegelwand vor ihnen starrte. „Vor uns eine Wand, hinter uns eine mordlustige Gurkenarmee. Ich glaube, diesmal sind wir fällig.“
„Das glaube ich auch", echote eine Stimme hinter ihnen. Sie drehten sich um und blickten ihren Angreifern entgegen. Ein wogende Masse aus grünen Leibern, in deren Mitte sich drohend ein Schatten erhob.
Immer weiter schoben sie sich auf Garlic Girl und Basil Boy zu. Dann kam der Schatten in den Schein einer Laterne, die zwischen den Häusern hing.
„Pickle Prick", rief Basil Boy. „Endlich zeigst du dich.“
Pickle Prick war Garlic Girls Erzfeind.
Er war ein größenwahnsinniger Wissenschaftler, der es geschafft hatte, eine Armee aus Cornichons zu züchten. Ein hagerer, dünner Mann war er, gänzlich in schwarz gekleidet, mit einem Gurkenlogo auf der Brust und einer Baskenmütze auf dem Kopf. Wie auch die beiden Freunde versteckte er seine Augen hinter einer schwarzen Binde. Auf dem Rücken trug er einen Kanister mit ätzendem Gurkenwasser, das er so modifiziert hatte, dass es Stein auflösen konnte.
„Ihr seid blind in meine Falle getappt", lachte er laut und böse. „Jetzt ist euer Ende gekommen.“
„Wenn du denkst, dass wir uns kampflos ergeben, hast du dich geirrt", knurrte Garlic Girl und zwei Knoblauchknollen erschienen in ihren Händen.
„Das hatte ich auch nicht gehofft", gab Pickle Prick zurück. „Cornichons, Angriff!“, brüllte er und die Gurken sprangen los.
Garlic Girl warf eine Knolle nach der anderen, Basil Boy schmetterte den Feinden alles entgegen, was er hatte, doch es schien, nicht zu helfen. Die Gürkchen wurden einfach nicht weniger.
„Es sind zu viele. Was sollen wir tun?“, schrie Basil Boy als zwei Gurken neben ihm zerplatzten.
„Keine Ahnung, halt einfach durch", rief sie zurück.
Aber es sah schlecht aus für die beiden. Wenn nicht bald etwas geschah, würden sie in dieser Gasse ihr Ende finden.
Nach einer gefühlten Ewigkeit verließen Basil Boy die Kräfte und erschöpft ließ er seine Hände sinken.
„Ich kann nicht mehr", keuchte er. Sein Brust hob und senkte sich wie ein Blasebalg und Tränen liefen über sein Gesicht. „War schön, dich kennengelernt zu haben.“
Als sie ihren Gefährten so hoffnungslos sah, konnte sie sich nicht länger gegen Schwäche und Erschöpfung wehren und sank auf die Knie.
Sie ließ von ihren Angriffen ab und umarmte ihn.
„War mir auch eine Freude, Basil Boy", flüsterte sie. „Wenn, dann sterben wir gemeinsam.“
Das wütende Schreien der Cornichons war jetzt ganz nah und jeden Moment rechneten die beiden damit, von den messerscharfen Zähnen auseinander gerissen zu werden.
Doch plötzlich hörten sie, wie die Gurken um sie herum zerplatzten. Ein merkwürdiges Trommelgeräusch drang an ihren Ohren.
Garlic Girl hob vorsichtig den Kopf, zog ihn aber gleich wieder zwischen die Schultern, als Geschosse um sie herum einschlugen.
Sie wagte einen kleinen Blick in die Richtung, aus der die Geschosse kamen und riss erstaunt die Augen auf.
Sie schüttelte Basil Boy und zeigte auf das obere Ende der Mauer.
„Sieh doch nur, es ist der Kakao Kavalier!“, brüllte sie vor Freude. „Wir sind doch noch nicht verloren.“
Neue Energie durchströmte sie und blitzschnell war sie wieder auf den Beinen, Knollen in den Händen.
„Jetzt zeigen wir's euch", schrie sie Pickle Prick und seiner Armee entgegen und warf so schnell und viel sie konnte.
Auch Basil Boy war jetzt wieder auf den Beinen und warf so viele Basilibombs und Basilirangs, wie er konnte.
Es funktionierte.
Die Cornichonarmee wurde zurückgedrängt. Eine Gurke nach der anderen wurde unter dem Dauerbeschuss des Kakao Kavaliers und der beiden Helden zerfetzt.
„Aaarggh, wo kommt der denn jetzt her?“, gurgelte Pickle Prick. „Das werdet ihr mir büßen.“
Dann drehte er sich um und verschwand laut fluchend, während seine Gürkchen ihm Deckung gaben.
Als auch die letzte Gurke zerplatzt und die Gasse vor Gurkenwasser triefte, ließen sich die beiden vor Erschöpfung einfach auf den Allerwertesten fallen.
„Fump“ machte es und neben ihnen stand der Kakao Kavalier mit stolzgeschwellter Brust. Er trug einen brauen Ganzkörperanzug, der auch die obere Hälfte seines Gesichts verdeckte und mit seinen monströsen Bizepsen hielt er sein gefürchtetes Kakaobohnenmaschinengewehr.
„Und wieder einmal rettete Kakao Kavalier die Unschuldigen vor großer Gefahr", sagte er und reckte dabei sein Kinn.
„Danke Kakao Kavalier. Ohne dich wären wir jetzt hinüber", lächelte Garlic Girl erschöpft.
„Ja, danke, Mann", stimmte Basil Boy schwer atmend zu.
„Das war doch gar nichts, meine jungen Freunde. Kakao Kavalier ist stets zu Diensten", antwortete er mit dem breitesten Lächeln. „Bis zum nächsten Mal.“
Mit diesen Worten schwang er sich wieder auf die Mauer und war Augenblicke später verschwunden.
„Ich brauche dringend Urlaub. Das war einfach zu knapp", sagte Basil Boy und streckte sich auf dem Asphalt aus.
„Den hast du dir auch verdient", lachte Garlic Girl und ließ sie neben ihm nieder.
Diesmal hatten sie Glück, doch in den Schatten lauerte schon das nächste Übel.
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