Werwolf
- Felix Auras
- 14. Juli 2023
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 5. Sept. 2023
Endlich hatte ich ihn gefunden.
Seit Wochen schon jagte ich dieser Bestie hinterher, doch bisher war sie mir immer entwischt. Aber nicht an diesem Abend. Heute war es so weit.
Ich befand mich auf einem alten Schrottplatz außerhalb der Gemeinde, in der ich lebte. Der Vollmond schien vom pechschwarzen Himmel herab und erleuchtete die Umgebung. Die Stille wurde nur durch den Wind, der sanft durch die nahe gelegenen Bäume wisperte, unterbrochen.
Ich kauerte hinter ein paar aufeinander gestapelten, zerdrückten Autos. Hinter und seitlich von mir waren weitere Autostapel, die sich ringförmig um das ganze Areal fortsetzten. Sie umschlossen damit einen Platz, auf dem sich mehrere Berge Altmetall befanden.
Ich überprüfte noch einmal das Magazin meiner Automatikarmbrust. Fünf Bolzen fanden darin Platz und zur Not hatte ich noch zwei weitere Magazine in meiner Tasche. Sie waren aus Silber gefertigt, denn dieses Material hatte sich als besonders wirkungsvoll gegen Werwölfe gezeigt. Vorsichtig spähte ich um die Motorhaube eines alten Ford Fiesta herum und nahm den Platz vor mir in Augenschein. Zentimeter um Zentimeter schob ich mich weiter vor, um meine Sicht zu erweitern und dann sah ich ihn.
Knapp fünfzig Meter von mir entfernt hockte das Ungetüm auf einem großen Müllberg. Sein graues Fell verschmolz förmlich mit dem Schrott, einzig seine leuchtend gelben Augen stachen hervor. Er war gut drei Meter groß, gebaut wie ein Wandschrank und mit Klauen, die an Messer erinnerten.
Seine lange, geschlossene Schnauze war leicht in die Höhe gereckt, als ob er nach etwas schnupperte. Der Schädel zuckte dabei leicht hin und her.
Plötzlich drehte er den Schädel in meine Richtung.
Ruckartig zog ich den Kopf ein und rutschte beinahe aus. Gerade noch so fing ich mich und presste mich mit dem Rücken gegen die Autos. Mein Herz begann zu hämmern.
Verdammt! Hoffentlich hatte er mich nicht gesehen, betete ich stumm vor mich hin.
Ich wartete eine Minute ab. Dann spähte ich langsam und vorsichtig noch einmal um die Ecke.
Er war verschwunden.
„Shit!“
Ich durfte ihn auf gar keinen Fall entkommen lassen und ich durfte mich auf gar keinen Fall von ihm erwischen lassen. Also kam ich hoch und sprintete hinter die nächsten Wracks zu meiner rechten Seite. Ich überblickte den Platz vor mir, doch keine Spur war mehr von ihm zu sehen.
Nun war der Vorteil auf seiner Seite. Er wusste, wo ich war, aber ich hatte keine Ahnung, wo er lauerte.
Ich konnte weiter schleichen und versuchen ihn zu finden, die Wahrscheinlichkeit aber, dass er mich dabei aus dem Hinterhalt angriff, war zu hoch. Also musste ein anderer Plan her und mir fiel schon etwas ein.
Ich richtete mich auf, kam aus meiner Deckung und schritt vorsichtig auf den Platz zu. Was ich jetzt vorhatte, war schierer Wahnsinn, aber es blieb mir nichts anderes übrig. Mit voller Absicht gab ich mich ungeschützt. Meine einzige Chance bestand darin, ihn herauszulocken und hoffentlich genau in dem Moment zu erwischen, in dem er mich attackierte.
Der Kies knirschte unter meinen Sohlen, als ich mich weiter auf den Altmetallhügel, auf dem vor kurzem noch dieses pelzige Ungetüm stand, zubewegte. Mein Blick glitt über die rostigen Autowracks. In jede Lücke spähte ich, versuchte jede noch so kleine Bewegung wahrzunehmen. Ich lauschte angestrengt in die Stille. Selbst die Grillen schienen gespannt zu schweigen.
Nichts rührte sich.
Als ich um einen verbeulten Kühlschrank lief, trat ich versehentlich gegen eine alte Dose und zuckte zusammen, als sie scheppernd unter einem rostigen Pickup zum Liegen kam.
Hektisch blickte ich mich und sprang hinter den Kühlschrank in Deckung.
Trotz der angenehmen Kühle lief mir der Schweiß in Bächen den Rücken herunter. Ich sah zurück zu dem Haufen alter Autos, von dem ich gekommen war und da saß er.
Er hockte ganz oben und knurrte mich an. Speichel klatschte von seinen Lefzen auf das Metall und hinterließ lange Schlieren. Die Arme pendelten vor seiner gewaltigen Brust, die Beine waren angewinkelt, zum Sprung bereit.
Eine Gänsehaut lief mir den Rücken herunter, als ich hinter dem Kühlschrank hervortrat.
Meine Knie zitterten als ich auf ihn anlegte. Vielleicht hatte ich Glück und würde ich ihn treffen, bevor er reagierte. Ich hob die Armbrust an die Schulter, zielte auf sein Herz und drückte ab.
Doch ich hatte ihn unterschätzt.
Kaum hatte ich den Abzug betätigt, stieß er sich in die Luft und ließ den Bolzen unter sich hindurchfliegen.
Elegant landete er auf seinen Hinterläufen und stürmte sofort auf mich zu. Verdammt, mit so einer Reaktion hatte ich nicht gerechnet.
Der Werwolf machte einen Satz auf mich zu. Das Maul war weit aufgerissen, die riesigen Zähne schienen im Mondlicht. Mit ausgestreckten Armen sprang er auf mich zu und ich wusste genau, was passieren würde, wenn er mich zu packen bekam.
Doch bevor er seine Klauen in meine Brust donnern konnte, rollte ich mich zur Seite ab, kam hoch und schoss noch in der Bewegung einen weiteren Bolzen ab. Ich verfehlte ihn nur um Millimeter.
Geschickt warf er sich zur Seite, wendete und begann seinen nächsten Angriff.
Nun tat ich etwas, womit der Werwolf nicht rechnete.
Ich ging ihm entgegen. Kurz bevor seine Klauen mich erwischten, tauchte ich ab und drehte mich noch im Fallen auf den Rücken. Er segelte über mich hinweg und seine Blicke folgten mir. Ich riss die Armbrust hoch und feuerte. Mein Bolzen traf ihn mitten in die Brust. Die Wucht des Aufpralls schleuderte ihn aus seiner Flugbahn und er krachte gegen die kaputten Autos. Ich kam hart auf, die Armbrust im Anschlag und wartete.
Doch nichts geschah. Er rührte sich nicht.
Langsam stand ich auf und ging auf den Wolf zu. Schon jetzt konnte ich sehen, dass ich ihn richtig erwischt hatte. Denn er verwandelte sich bereits in seine menschliche Form zurück. Der Körper schrumpfte zusammen, die Proportionen nahmen wieder normale Formen an und das Fell zerfiel langsam zu Staub.
Ich war froh, dass der Kampf nun vorbei war. Ich spürte die Nachwirkungen, als meine Muskeln vor Anstrengung zu zittern begannen.
Der Werwolf war jetzt fast wieder ein Mensch, doch wieso wurde ich dabei stutzig? Irgendetwas stimmte hier nicht.
Je mehr der Mensch aus dieser Bestie hervortrat, desto bekannter kam er mir vor.
Da war etwas auf seinem Rücken. Ein Muttermal? Aber das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein!
Ich hörte nicht auf zu schwitzen und hatte das Gefühl, dass mein Herz gleich explodieren würde.
Ein sachter Windstoß fegte die restlichen Haare von der Stelle.
Ich fühlte mich, als hätte man mir ein Messer ins Herz gestoßen. Meine Knie gaben nach und ich landete auf allen Vieren auf dem harten Kies. Ich versuchte den Körper zu packen, ihn umzudrehen, doch ich zitterte so sehr, dass meine Hände abrutschten.
Endlich bekam ich die Schulter zu fassen. Ich drehte ihn auf den Rücken und die Zeit schien stillzustehen.
Ich blickte in die Augen meines toten Sohnes.
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